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Freiburger Geographische Hefte, Heft 61

Andreas Schwab (2000): Reliefanalytische Verfahren zur Abschätzung nächtlicher Kaltluftbewegungen

Zusammenfassung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die ausführliche Beschreibung von Algorithmen, die verschiedenen ausgewählten reliefanalytischen Verfahren zur Abschätzung nächtlicher Kaltluftbewegungen zugrunde liegen. Dabei wird der Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen bzw. wie die Ergebnisse dieser Verfahren zur Abschätzung von Kaltluftabflüssen und zur Lokalisierung von Kaltluftstaugebieten genutzt werden können. Beispiele für solche Verfahren sind einfache Kaltluftabflußmodelle, wie sie z.B. von ENDERS (1979), MATTSON & NORDBECK (1980), GERTH (1986), KAPPAS (1994) und BAUMüLLER & REUTER (1992) vorgestellt wurden oder Verfahren zur Bestimmung isolierter Hohlformen, die als Kaltluftstaugebiete gedeutet werden können (vgl. z.B. PECKHAM 1996). Im Anschluß an die Beschreibung dieser Ansätze werden sie miteinander verglichen, um abschließend auf ihre Anwendbarkeit in konkreten Untersuchungsräumen eingehen zu können. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, in welchen räumlichen Skalen sie einsetzbar sind und welche Eigenschaften die eingehenden Datensätze aufweisen müssen, um sinnvolle Ergebnisse erwarten zu dürfen. Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zum besseren Verständnis von sogenannten synthetischen Klimakarten (vgl. VDI 3787 Blatt 1), bei deren Erstellung vergleichbare Ansätze angewendet werden.

Insgesamt werden drei verschiedene Verfahren implementiert, die zur Bestimmung von Volumenströmen, Kaltluftmächtigkeiten bzw. Kaltluftstaugebieten herangezogen werden können. Ein einfaches „statisches“ Abflußmodell basiert auf den von ENDERS (1979), KAPPAS (1994) und BAUMüLLER & REUTER (1992) gemachten Vorschlägen, wie Volumenströme aus einem DGM ermittelt werden können. Dieses Verfahren richtet sich allein nach den Höhendifferenzen der Geländeoberfläche und entspricht einfachen Flußalgorithmen, wie sie auch im Bereich der Hydrologie zum Einsatz kommen. Eine „single flow“- und eine „multiple flow“-Variante liegen vor. Ein zweites Abflußmodell orientiert sich an den Vorgaben von GERTH (1986). Sein Einsatz erlaubt die Bestimmung von Volumenflüssen und Kaltluftmächtigkeiten. Zur Lokalisierung von Kaltluftstaugebieten kann ebenfalls der Gerthsche Ansatz oder ein Verfahren von PECKHAM (1996) herangezogen werden, das in der Lage ist, alle isolierten Hohlformen innerhalb eines DGM rechnerisch zu „fluten“. Das erstgenannte Abflußmodell wurde zudem so modifiziert, daß es zur recheneffizienten Charakterisierung von Einzugsgebieten verwendet werden kann. Die implementierten Programme werden in drei Untersuchungsräumen getestet. Der erste Raum umfaßt Teile des Mittleren und Südlichen Oberrheintieflandes, Teile des Mittleren und den gesamten Südlichen Schwarzwald sowie den südlichsten Teil der weitverbreiteten Gäuplatten. Am östlichen Rand dieses Gebietes steigt das Gelände bereits zur Albhochfläche hin an. Innerhalb dieses Raumes liegen mit dem Zartener Becken östlich von Freiburg und dem Giesental westlich von Waltershofen am Tuniberg die beiden anderen Untersuchungsgebiete. Als Datengrundlage dienen jeweils digitale Geländemodelle bzw. Landnutzungsklassifikationen. Für den ersten Raum stehen diese in einer Auflösung von 500 x 500 m² zur Verfügung, während die Maschenweite der anderen Datensätze 50 m (Zartener Becken) bzw. 5 m (Giesental) betragen.

Zunächst werden für den ersten großen Untersuchungsraum Fließrichtungen und Volumenströme sowohl mit dem „statischen“ Ansatz als auch mit dem „dynamischen“ Verfahren flächenhaft berechnet. Der Vorteil des „statischen“ Abflußmodells liegt dabei in erster Linie in seiner hohen Recheneffizienz und der Möglichkeit, Volumenströme an verschiedenen Talausgängen ganz gezielt an Einzelpunkten der Datensätze abzufragen. Das „dynamische“ Abflußmodell erfordert wesentlich längere Rechenzeiten, ist jedoch in der Lage, ein Überfließen von Kaltluft über Wasserscheiden hinweg zu simulieren. Durch die Wahl gezielter Steuergrößen lassen sich die Modellergebnisse an Einzelpunkten gewissermaßen an die realen Verhältnisse aneichen. Das räumliche Muster der berechneten Flüsse entspricht dann insbesondere im Mündungsbereich von Tälern eher der Realität, als dies beim „statischen“ Ansatz der Fall ist, mit dem in ebenen Gebieten nur die eigentlichen Tiefenlinien nachgezeichnet werden können.

Zur Lokalisierung von Staugebieten werden anschließend sowohl das „dynamische“ Abflußmodell, als auch das Verfahren von PECKHAM eingesetzt. Letzeres zeichnet sich dadurch aus, daß seine Ergebnisse exakt alle abflußlosen Hohlformen innerhalb des DGM wiedergeben und es gegenüber dem „dynamischen“ Ansatz wesentlich geringere Rechenzeiten erfordert. Der Vorteil des Abflußmodells wiederum beruht auf der Möglichkeit, aus der Entwicklung der Kaltluftmächtigkeiten Kaltluftstaubereiche auch dort abzuleiten, wo zwar prinzipiell Abflußmöglichkeiten im DGM vorhanden wären, die geringen Neigungen des Geländes das Abfließen aber erschweren.

Zur Untersuchung des Zartener Beckens werden aus Effizienzgründen nur noch das „statische“ Abflußmodell sowie das Verfahren von PECKHAM verwendet. Die berechneten Volumenströme an den verschiedenen Talausgängen innerhalb dieses Raumes unterscheiden sich nur unwesentlich von den Ergebnissen der Rechnungen auf dem Gesamtgebiet. Die Anwendung der „multiple flow“-Variante des Abflußmodells liefert in den Hangbereichen glattere Übergänge zwischen den berechneten Volumenflüssen, jedoch sind bei dieser Version die Werte an den verschiedenen Talausgängen normalerweise nicht mehr an Einzelpixel abfragbar. Das Verfahren von PECKHAM muß modifiziert werden, um auch bei komplexen orographischen Strukturen, die innerhalb von Siedlungsgebieten entstehen können, zu terminieren. Mit der Anwendung des „statischen“ Abflußmodells im Giesental wird gezeigt, daß dessen Ergebnisse nur bedingt in konkreten Planungssituationen einsetzbar sind. In großen Maßstäben lassen sich allenfalls Straßenzüge ermitteln, die aufgrund ihrer Lage im Relief als Leitbahnen des nächtlichen Kaltluftabflusses besonders in Frage kommen. Quantitative Aussagen, etwa über Eindringtiefen in bebaute Areale, sind nicht möglich. Die mit dem Verfahren von PECKHAM berechneten Staubereiche dürften die Realität jedoch in vielen Fällen sinnvoll wiedergeben.

Schließlich wird die abgewandelte Version des „statischen“ Abflußmodells eingesetzt, um für den Bereich des Zartener Beckens mehrere, für das Auftreten nächtlicher Kaltluftabflüsse relevante Geländeeigenschaften verschiedener Täler zu bestimmen. Die Ergebnisse werden in einer Tabelle zusammengefaßt. Die Vorteile der angewendeten Verfahren liegen, da es sich letztlich um rein reliefanalytische Ansätze handelt, in ihrer Transparenz und Verständlichkeit und in der Tatsache, daß keine umfangreichen Eingangsdatensätze nötig sind. Vor allem aus ihrer kombinierten Anwendung gewinnt man hilfreiche Erkenntnisse, die auch zur Vorbereitung von Feldmessungen sinnvoll eingesetzt werden können.